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MS-Verlaufsformen – Das sollten MS-Nurses wissen

Multiple Sklerose (MS) wird oft auch als die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen chronischen Krankheiten ist es nicht immer einfach, die vielfältigen Erscheinungsformen der MS in Bezug auf Symptome und Therapie auf einen Nenner zu bringen. Viele Betroffene stellen sich außerdem Fragen zum MS-Krankheitsverlauf: Ist eine MS heilbar? Und welchen Einfluss hat die MS auf die Lebenserwartung? Als MS-Nurse können Sie die Patient*innen dabei unterstützen!

Immer anders: der unterschiedliche Beginn

Der Beginn einer MS kann ganz unterschiedlich aussehen, deswegen sollten Sie als MS-Nurse mögliche Symptomatiken kennen. Eventuell verändert sich das Sehvermögen, Patient*innen fühlen sich schneller erschöpft als sonst oder haben Probleme mit der Blase. Die Vielfalt der MS-Symptome macht es nicht einfach, die Krankheit sofort zu erkennen. Eine zusätzliche Schwierigkeit: Jedes der zahlreichen Symptome einer MS kann, einzeln betrachtet, auch auf eine andere Krankheit hindeuten..

MS-Symptomen frühzeitig auf den Grund gehen

Aufgrund der Vielfalt der Symptome kann die MS-Diagnosestellung etwas langwierig sein. Den einen MS-Test gibt es leider nicht. Aber ein Neurologe kann verschiedene Untersuchungen vornehmen, deren Ergebnisse eine sichere Diagnose erlauben. MS gehört somit zu den Ausschlussdiagnosen.

Sollte sich im Anschluss an einen Besuch beim Hausarzt der Verdacht ergeben, dass eine MS vorliegt, ist der Gang zum Spezialisten immer ratsam. In Leitlinien wird empfohlen, möglichst frühzeitig mit einer Immuntherapie zu beginnen, um den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen zu können.1 Je mehr Sie über die Erkrankungen wissen, desto besser können Sie Ihre Patient*innen unterstützen.

Weiterer MS-Verlauf individuell

Was für den Beginn einer MS gilt, zeigt sich auch im weiteren Krankheitsverlauf. Zwar gibt es typische Verlaufsformen der Multiplen Sklerose, wie die Erkrankung aber konkret verläuft, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Individuelle, variable MS-Verläufe mit unsicherer Prognose sind ein fester Bestandteil des Krankheitsbilds.2 Ihr Wissen hilft Ihnen dabei, die richtigen Worte zu finden und einen möglichen positiven Einfluss drauf zu nehmen, wie sich die Patient*innen am Ende des Gespräches fühlen. In unserem eModul „Rolle der MS-Nurse“ können Sie Ihr Wissen zu diesem Thema erweitern. Im Anschluss können Sie in Ihrem beruflichen Alltag diese neuen Fähigkeiten zum Einsatz bringen und effektiv in die Praxis umzusetzen.

MS ist nicht heilbar – aber behandelbar

Trotz intensiver Forschung ist die Multiple Sklerose nicht heilbar. Sie kann jedoch behandelt werden – z. B. mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie, deren Ziel es ist, die Entstehung neuer Krankheitsschübe so lange wie möglich zum Stillstand zu bringen und eine Zunahme bleibender Beeinträchtigungen hinauszuzögern.3

Lebenserwartung bei MS

MS ist eine chronische Erkrankung, deren Symptome das Leben der Betroffenen in erheblichem Maße einschränken kann. Es ist auch möglich, dass ein*e Patient*in an den Folgen der MS stirbt. Trotzdem sind die Prognose und die durchschnittliche Lebenserwartung von MS-Patient*innen mittlerweile nicht wesentlich schlechter als von gesunden Menschen (Männer mit MS/Männer allgemein: 72,2 Jahre/78,9 Jahr und Frauen mit MS/Frauen allgemein 77,2 Jahre/84,6 Jahre)4

Unterstützung in Anspruch nehmen

Gerade die Unberechenbarkeit einer MS kann Betroffenen zu schaffen machen. Deswegen treten zu körperlichen Einschränkungen oft auch psychische Probleme auf. Da die Krankheit das ganze Leben betrifft, tun sich viele Fragen auf:

  • Kann ich in ein paar Jahren meinen Beruf noch ausüben?
  • Ist künftig Reisen noch möglich?
  • Was ist mit Autofahren?

Ganz wichtig ist, dass Patient*innen angesichts vieler Unsicherheiten nicht in Passivität verfallen und sich mit der Krankheit aktiv auseinandersetzen. In Gesprächen mit Patient*innen können Sie herausfinden, welche Themenbereiche besonders wichtig sind. Dementsprechend sollten Patient*innen sich die Unterstützung holen, die sie brauchen: in der Familie oder bei Freund*innen, aber auch bei professionellen Ansprechpartner*innen wie Ärzt*innen oder Therapeut*innen.

Individueller Krankheitsverlauf, typische Verlaufsformen

Der Verlauf der MS ist individuell sehr verschieden, insbesondere die Art und Schwere der Symptome und das zeitliche Muster, in dem die Schübe auftreten, unterscheiden sich bei den Betroffenen. Langjährige medizinische Erfahrungen zeigen, dass sich die Multiple Sklerose typischerweise in drei charakteristischen Verlaufsformen ausprägen kann.5

MS: Drei Typische Verlaufsformen

Es ist zwar nicht möglich, für jede*n einzelnen Patient*in eine individuelle Prognose zu stellen. Grundsätzlich kann man aber zwischen drei typischen Verlaufsformen unterscheiden:5

  • schubförmig remittierende MS (RRMS)
  • sekundär progrediente MS (SPMS)
  • primär progrediente MS (PPMS)

Bei der schubförmigen Verlaufsform treten vorübergehende Phasen mit hoher Krankheitsaktivität auf, sogenannte Krankheitsschübe oder Schübe. In der progredienten Form schreitet die MS kontinuierlich (schleichend) fort, das heißt, Einschränkungen und Behinderungen können hinzukommen, bestehende sich verstärken.5

Schubförmig remittierende MS

Die schubförmig remittierende MS (RRMS) tritt insbesondere zu Beginn der Erkrankung auf. Sie ist die häufigste Form der MS. Bis zu 90 % der Patient*innen sind davon betroffen.2,5

Bei der RRMS treten bei Schüben krankheitstypische Symptome auf, die sich nach dem Schub wieder komplett oder teilweise zurückbilden können. Die Schübe treten in unregelmäßigen Abständen auf. Einem Schub können monate- oder jahrelange Phasen der Schubfreiheit folgen.2,5

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Abbildung modifiziert nach Schmidt R.M. et al. Multiple Sklerose. 2022

Abb. 1: RRMS – krankheitsspezifische Symptome, die bei Schüben auftauchen, können sich nach dem Schub ganz oder teilweise wieder zurückbilden.

Sekundär progrediente MS

Bei vielen Betroffenen geht die schubförmige MS nach längerem schubförmigem Verlauf in eine sekundär progrediente (= fortschreitende) Verlaufsform (SPMS) über. Nach 20 Jahren ist das bei bis zu 9 von 10 Betroffenen der Fall.2

Bei der SPMS erfolgt die Rückbildung der Symptome nach dem Schub nur noch unvollständig und es kommt zunehmend zu Einschränkungen. Schließlich treten kaum noch Schübe auf und es kommt zu einer progredienten, d. h. zu einer fortschreitenden Verschlechterung.5

Auch bei der SPMS können Phasen der raschen und langsamen Verschlechterung sowie stabile Phasen im Wechsel stehen.

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Abbildung modifiziert nach Schmidt R.M. et al. Multiple Sklerose. 2022
Abb. 2: SPMS – Unvollständige Rückbildung der Symptome nach Schüben. Später im Verlauf Rückgang der Schübe und Übergang zu fortschreitender Verschlechterung.

Primär progrediente MS

Bei der primär progredienten Verlaufsform (PPMS) treten keine Schübe auf, auch nicht zu Beginn der Krankheit. Häufig kommt es bei dieser seltenen Verlaufsform (nur etwa 10 % der Patient*innen) von Anfang an zu einer schleichenden, fortschreitenden Zunahme der Symptome und Einschränkungen ohne zwischenzeitliche Rückbildung.2,5

Wie beim sekundär progredienten Verlauf kann es auch hier Phasen mit geringerer Krankheitsaktivität ohne neue Symptome geben.

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Abbildung modifiziert nach Schmidt R.M. et al. Multiple Sklerose. 2022
Abb. 3: PPMS – keine Schübe. Fortschreitende Zunahme von Symptomen ohne zwischenzeitliche Rückbildung.

Therapieentscheidung von mehreren Faktoren abhängig

Welche Therapie am besten geeignet ist, hängt zunächst von der Verlaufsform, der Schwere des Verlaufs und der Aktivität der MS ab. Es gibt aber weitere Faktoren, die bei der Wahl der Therapie eine Rolle spielen: unter anderem die individuelle Lebensplanung, Alter und etwaige Begleiterkrankungen.3,5

Referenzen
  1. Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (2021): S2k-Leitlinie Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen, in awmf.org [online] https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-050 [06.12.2022].Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e. V. (2022): Was ist Multiple Sklerose (MS)?, in dmsg.de, [online] https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms [06.12.2022].
  2. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e. V. (2022): Was ist eine verlaufsmodifizierende Therapie?, [online] https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-behandeln/therapiesaeulen/verlaufmodifizierende-therapie  [06.12.2022].
  3. Hanne Marie Bøe Lunde et al. (2017): Survival and cause of death in multiple sclerosis: a 60-year longitudinal population study, in: Journal of neurology, neurosurgery, and psychiatry, 88 (8): 621-625, doi: https://doi.org/10.1136/jnnp-2016-315238.
  4. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) e. V. (2022): Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten, in hirnstiftung.org, [online] https://hirnstiftung.org/2022/10/magazin-2-ms-patientenleitlinie/ (06.12.2022).

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