Seltene Erkrankungen stellen oft komplexe, schwer zu diagnostizierende und wenig erforschte Krankheitsbilder dar. Das Verständnis für seltene Erkrankungen kann maßgeblich dazu beitragen, die Versorgung und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern bei der Koordination von komplexen, interdisziplinären Therapieansätzen unterstützen. Deshalb ist es auch für die medizinische Fachkraft, als zentrale Schnittstelle in der Betreuung und ganz nah dran an den Patient*innen, hilfreich, ein gewisses medizinisches Basiswissen in diesem Bereich zu besitzen.
Definition und Allgemeines
Seltene Erkrankungen äußern sich in unterschiedlichsten Krankheitsbildern. Gemeinsam ist ihnen aber häufig, dass sie unheilbar und genetisch bedingt sind.1 Rund 70 % der seltenen Erkrankungen beginnen bereits im Kindesalter.2
Nach Definition der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen in der europäischen Bevölkerung betroffen ist.3 Derzeit zählen mehr als 8.000 Krankheiten dazu und jährlich werden es mehr, was somit in Summe eine große Anzahl Betroffener ausmacht.4 Europaweit betrachtet bedeutet dies, dass zwischen 27 und 36 Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung, wie beispielsweise der Friedreich-Ataxie oder Spinaler Muskelatrophie, leben.2
"Wenn du Hufgetrappel hörst, denke an Pferde, nicht an Zebras." Dieses Zitat aus den 1940iger Jahren stammt von Dr. Theodore E. Woodward, Universität Maryland in Baltimore (USA). Es soll Mediziner dazu anregen, bei der Diagnosefindung zuerst an häufig auftretende Krankheiten zu denken, da diese in der Regel wahrscheinlicher sind als seltene, selbst wenn die Symptome auf beide hinweisen. Basierend auf diesem Hintergrund wurde das Zebra zum internationalen Symboltier für seltene Erkrankungen.5
Dieser Leitsatz birgt allerdings auch einen Teil der Problematik, die den Leidensweg Betroffener ausmacht.
Diagnostik, Therapie und Forschung
Die Diagnose seltener Erkrankungen stellt sich oft sehr schwierig, langwierig und kostenintensiv dar. Auch die Betreuung und Behandlung Betroffener benötigt spezielles Fachwissen und ist aufwändig, was wiederum hohe finanzielle Aufwendungen erfordert. Gleichsam verhält es sich in der Forschung. Es bedarf valider Studien, um die komplizierten Mechanismen der Krankheitsentstehung sowie mögliche Therapien zu erforschen. Im weiteren Verlauf nehmen dann Herstellung und Zulassungsverfahren von Medikamenten eine Menge Zeit und Geld in Anspruch.1
Bezieht man die Vielzahl an Anforderungen auf eine einzelne seltene Erkrankung, welche lediglich wenige Individuen umfasst, so bietet dies kaum wirtschaftliche Anreize, sie zu erforschen. Umso wichtiger ist daher die öffentliche Förderung, wie beispielsweise auf nationaler Ebene durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Dieses fördert seit 2003 Forschungsverbünde zu seltenen Erkrankungen, die nationale Ressourcen und Fachkenntnisse aus Forschung und Gesundheitsversorgung zusammenführen.1
Aber auch die EU engagiert sich auf diesem Gebiet. Das strategische Ziel besteht darin, Betroffenen einen besseren Zugang zu Diagnose, Informationen und Behandlung zu ermöglichen. Die Bündelung knapper Ressourcen in der gesamten EU wird unterstützt und ermöglicht Patient*innen und medizinischem Fachpersonal den Austausch von Wissen und Informationen.2
Versorgungslage Betroffener in Deutschland
Die Anzahl von Expertinnen und Experten, die spezialisiert sind auf die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen ist deutschlandweit nur gering und die Wege zu guten Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten für die Patient*innen oftmals mühsam.6
Eine Digitalisierung ermöglicht Betroffenen den Zugang zu neuestem Fachwissen, den Austausch von Informationen sowie die Chance, sich national und international zu vernetzen.6
Die medizinische Versorgung in Spezialkliniken, sogenannten Zentren für seltene Erkrankungen, ist in Deutschland gut. Zudem stehen zur frühzeitigen Diagnostik Screening-Programme hierzulande zur Verfügung, wie beispielsweise das Neugeborenen-Screening, die eine zuverlässige Erkennung bestimmter seltener Erkrankungen gewährleisten.6
Auch wird im Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) stetig an der Verbesserung der Versorgungsituation von Betroffenen gearbeitet.6
Zum 1. April 2023 wurde die gesetzliche Verpflichtung zur Kodierung von seltenen Erkrankungen für Krankenhäuser im stationären Bereich eingeführt. Dies soll zu belastbaren Zahlen hinsichtlich der konkreten Häufigkeiten einzelner seltener Erkrankungen führen.6
Portale für Betroffene in Deutschland
Die nationale Plattform „Orphanet Deutschland“ vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sammelt Wissen um seltene Erkrankungen und stellt dieses auch zur Verfügung.7 Auf der Webseite der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) können sich sowohl Betroffene als auch Menschen zur Beratung wenden, bei denen der Verdacht im Raum steht, dass eine seltene Erkrankung ursächlich für ihre Beschwerden sein könnte oder die sich schon länger auf der Suche nach der richtigen Diagnose befinden.8 Und auch auf der internationalen Plattform „Orphanet“ finden sich Informationen über eine Vielzahl an seltenen Erkrankungen.9
Referenzen:
- Bundesministerium für Bildung und Forschung. Seltene Erkrankungen: Ursachen und Therapie erforschen. https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/gesundheit/individualisierte-medizin/seltene-erkrankungen/seltene-erkrankungen_node.html (eingesehen am 07.11.2024)
- European Comission. Rare diseases. https://health.ec.europa.eu/rare-diseases-and-european-reference-networks/rare-diseases_en#:%7E:text=Up%20to%2036%20million%20people,rare%20diseases%20in%20the%20EU (eingesehen am 07.11.2024)
- Orphanet. https://www.orpha.net/de/disease (eingesehen am 07.11.2024)
- Vfa. Seltene Erkrankungen – Definition, Beispiele und Zahlen. https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/seltene-erkrankungen/was-sind-seltene-erkrankungen (eingesehen am 07.11.2024)
- colourUp4RARE. Warum ein Zebra? https://www.colourup4rare.com/de#warum-ein-zebra (eingesehen am 10.09.2024)
- Bundesministerium für Gesundheit. Seltene Erkrankungen. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen (eingesehen am 07.11.2024)
- Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte. Orphanet Deutschland. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Kooperationen-und-Projekte/Orphanet/Orphanet-Deutschland/Allgemeines/_node.html (eingesehen am 07.11.2024)
- Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen. https://www.achse-online.de/de/ (eingesehen am 07.11.2024)
- Orphanet. https://www.orpha.net/de (eingesehen am 07.11.2024)