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Frühzeitig gegensteuern

Als MS-Nurse wissen Sie, dass Multiple Sklerose unterschiedliche Verlaufsformen hat. Charakteristisch für den Krankheitsverlauf sind die sogenannten Schübe. Ein Schub bezeichnet das Auftreten neuer oder das Wiederaufflammen bereits bekannter Symptome der Multiplen Sklerose. Da mit jedem MS-Schub das Risiko steigt, dass körperliche Einschränkungen bestehen bleiben, ist hier von Ihnen besondere Aufmerksamkeit gefragt.

Schübe als Zeichen von Krankheitsaktivität

Ein Schub ist in der Regel ein Zeichen von Krankheitsaktivität. Der Körper signalisiert: Die MS ist klinisch aktiv.1 MS-Schübe äußern sich neurologische Ausfallerscheinungen. Die Ursache für einen Schub kann in den aktiven Entzündungsherden (Läsionen) liegen, welche die Weiterleitung von Nervenimpulsen in den betroffenen Nervenfasern behindern, oder am Verlust von Gehirnvolumen, der durch die MS verursacht wird.1 Je nachdem, wo die Schäden im zentralen Nervensystem liegen, können die Symptome eines Schubes sehr unterschiedlich sein.1 Auch wenn meist keine klaren Auslöser für Schübe ausgemacht werden, kann z. B. Stress einen Schub wahrscheinlicher machen und so eine Verschlechterung der Erkrankung zur Folge haben.2

MS-Schub erkennen: vielfältige Symptome mit unterschiedlicher Intensität

Teils treten die Krankheitszeichen sehr deutlich in Erscheinung, teils werden sie von den Betroffenen kaum wahrgenommen, und für jeden Menschen mit MS fühlt sich ein Schub anders an. Typische Symptome können z. B. sein:3,4

  • Sensibilitätsstörungen in Armen und Beinen (z. B. Taubheitsgefühl und Kribbeln)
  • Sehstörungen (z. B. Doppelbilder, unscharfes Sehen)
  • Blasen- oder Mastdarmstörungen (z. B. Blasenschwäche oder Inkontinenz)
  • Gangunsicherheit (z. B. durch Lähmungen)
  • Störungen der geistigen Fähigkeiten (z. B. Konzentrationsstörungen, starke Ermüdbarkeit, Müdigkeit, Fatigue)
  • Kopfschmerzen

Uhthoff-Phänomen

Eine vorübergehende Verschlechterung der MS-Symptome bedeutet nicht immer, dass ein Schub vorliegt. Es kann auch das sogenannte Uhthoff-Phänomen sein, eine Form des MSPseudoschubs. Ihm liegt eine Erhöhung der Körpertemperatur zugrunde, ausgelöst z. B. durch eine Infektion oder Erkältung mit Fieber, ein heißes Bad oder einen Saunabesuch. Man nimmt an, dass durch die erhöhte Temperatur die Leitfähigkeit der Nervenbahnen verringert wird. Meist hält der Pseudoschub nur so lange an, bis die Körpertemperatur wieder sinkt.5

MS-Schub erkennen

Es ist wichtig, dass MS-Nurses nicht nur die möglichen Auslöser, sondern auch die Symptome eines Schubs identifizieren können. Die medizinische Definition für einen Krankheitsschub ist eindeutig. Ein tatsächlicher MS-Schub liegt vor, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:4

  • Neue Krankheitszeichen treten auf oder Symptome, die sich komplett zurückgebildet haben, treten erneut auf.
  • Die Krankheitszeichen halten mindestens 24 Stunden an.
  • Die Krankheitszeichen treten mit einem Abstand von mindestens einem Monat zum letzten Schub auf.
  • Die Beschwerden sind nicht durch Änderungen der Körpertemperatur (Uhthoff- Phänomen) erklärbar oder auf Infektionen zurückzuführen.

Wie lange dauert ein MS-Schub?

Wie lange ein MS-Schub dauert, kann sehr unterschiedlich sein. Manchmal verschwindet er wie von alleine, aber nicht immer kommt es zu einer vollständigen Rückbildung.1 Auch kurz aufeinander folgende Schübe sind bekannt, die sich kaum noch einzeln abgrenzen lassen.3

Wichtig: Entzündungen frühzeitig bekämpfen

Zu Beginn der MS bilden sich nach einem Schub die Symptome meist wieder zurück. Der Körper versucht, die beschädigten Nervenbahnen durch die Bildung von Myelin zu reparieren, damit die Nervenimpulse wieder ihr Ziel erreichen. Dieser Vorgang wird als Remyelinisierung bezeichnet. Im Verlauf der MS nimmt dieses Reparaturpotenzial jedoch ab. Sprechen Sie mit Ihren Patient*innen darüber, denn es ist wichtig, Entzündungen im Gehirn und Rückenmark von Anfang an wirksam zu bekämpfen, um so weitere Schübe zu verhindern oder hinauszuzögern. Denn mit jedem Schub steigt das Risiko, dass die Rückbildung eines Schubs unvollständig abläuft und körperliche Einschränkungen zurückbleiben.1

Schübe: Spitze eines Eisbergs

Zwischen den Schüben können längere Zeiträume ohne oder mit nur leichten Beschwerden liegen. Aber aufpasst: Das bedeutet nicht, dass die Krankheit ruht. Hier hilft es, sich das Krankheitsgeschehen bei einer MS wie einen Eisberg vorzustellen. Die Schübe, also die Krankheitsaktivität, sind nur die Spitzen, die aus dem Wasser herausragen. Die Entzündungsaktivität aber, die einen viel größeren Teil der MS ausmacht, liegt unsichtbar unter Wasser. Sie kann mithilfe von Magnetresonanztomografie (MRT) festgestellt werden.1

Wann ärztlichen Rat einholen?

Da die Anzahl der Schübe großen Einfluss auf den Verlauf der MS hat, ist es wichtig, den Körper genau zu beobachten und auf entsprechende Hinweise zu reagieren.1 Daran können Sie in persönlichen Gesprächen mit MS-Patient*innen immer wieder erinnern! Besteht der Verdacht auf einen Schub, sollten Betroffene unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen. Sie können die Symptome untersuchen, gegebenenfalls einen Schub feststellen und eine kurzfristige Behandlung des akuten Schubes, z. B. mit einer Kortisonstoßtherapie, durchführen. Auch eine Schubbehandlung ohne Kortison ist in manchen Fällen angezeigt: Bei schweren Fällen wird eine Blutwäsche durchgeführt, wenn die Stoßtherapie nicht oder nicht mehr hilft.3

 

Beginn der Therapie nach erstem Schub

Auch aktuelle Leitlinien von Fachgesellschaften empfehlen: Mit einer wirksamen Immuntherapie sollte früh begonnen werden.4 Deshalb sollten Betroffene möglichst frühzeitig mit Arzt oder Ärztin über die Behandlungsoptionen sprechen und sich informieren.

Referenzen

  1. Gavin Giovannoni et al. (2018): Brain Health – Keine Zeit verlieren bei Multipler Sklerose, in: msbrainhealth.org, [online] https://www.msbrainhealth.org/wpcontent/ uploads/2021/05/de-brain-health-time-matters-in-multiple-sclerosis-policy-report- 2.pdf [19.01.2023].
  2. David C. Mohr et al. (2004): Association between stressful life events and exacerbation in multiple sclerosis: a meta-analysis, in BMJ 328: 731, doi: https://doi.org/10.1136/bmj.38041.724421.55.
  3. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) e. V. (2022): Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten, in hirnstiftung.org, [online] https://hirnstiftung.org/2022/10/magazin-2-ms-patientenleitlinie/ [06.12.2022].
  4. Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (2021): S2k-Leitlinie Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOGIgG- assoziierte Erkrankungen, in awmf.org [online] https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-050 [06.12.2022].
  5. amsel – Das Multiple Sklerose Portal (2020): Uhthoff-Phänomen verstärkt Multiple Sklerose Symptome bei Hitze, in: amsel.de [online] https://www.amsel.de/multiplesklerose/ ms-wissenswert/das-uhthoff-phaenomen/ [06.12.2022].
Biogen-196701