Seltene Erkrankungen, wie beispielsweise die Friedreich-Ataxie, stellen oft komplexe, schwer zu diagnostizierende und wenig erforschte Krankheitsbilder dar. Das Verständnis für seltene Erkrankungen kann maßgeblich dazu beitragen, die Versorgung und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern und bei der Koordination von komplexen, interdisziplinären Therapieansätzen unterstützen. Deshalb ist es auch für die medizinische Fachkraft, als zentrale Schnittstelle in der Betreuung und ganz nah dran an den Patient*innen, hilfreich, ein gewisses medizinisches Basiswissen in diesem Bereich zu besitzen.
Was wissen Sie über die „Friedreich-Ataxie“?
Die Friedreich-Ataxie (kurz: FA) wurde erstmals 1863 von dem deutschen Neurologen Nikolaus Friedreich beschrieben.1 Es handelt sich dabei um eine seltene genetisch bedingte, mit fortschreitenden Behinderungen einhergehende und lebensverkürzende neurodegenerative Krankheit.2 In Deutschland ist 1 von 50.000 Menschen davon betroffen, weltweit sind es etwa 15.000.3,4
Die ersten Zeichen der Friedreich-Ataxie zeigen sich in der Regel bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren.5 Die Symptome können aber auch erst später im Erwachsenenalter auftreten.4
Ursache der FA
Bei der FA führt ein genetischer Defekt zu einer mangelhaften Bildung von Frataxin. Dieses Protein reguliert u. a. die Eisenverwertung in den Mitochondrien. Durch den Mangel ist deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt und es kommt vermehrt zur Bildung von toxisch wirkender freier reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) sowie in der Folge zu oxidativem Stress.6 Somit sind vor allem Organe betroffen, die besonders viele Mitochondrien enthalten, wie beispielsweise Skelett- oder Herzmuskulatur sowie die Bauchspeicheldrüse.7
Vererbung der FA
Die Friedreich-Ataxie ist eine autosomal-rezessive Erbkrankheit. Rezessiv (zurücktretend) bedeutet, dass es nur dann zur Erkrankung kommt, wenn das Kind von beiden Eltern jeweils ein defektes Gen vererbt bekommt. Die Eltern sind dabei die Anlagenträger und haben jeweils eine Kopie des defekten Gens. Die Übertragung der Krankheit erfolgt geschlechtsunabhängig, also autosomal.8
Symptome der FA
Die Friedreich-Ataxie ist eine schwere Multisystemerkrankung, bei der neurologische, kardiologische, orthopädische und andere Symptome auftreten können.2,5
Mögliche Krankheitszeichen:
Neurologische Symptome
- Feinmotorikstörungen1
- Gangataxie5,9
- Areflexie (Fehlen eines oder mehrerer Reflexe)5,9
- Periphere Neuropathie5,9
- Muskelschwäche5
Bulbäre Symptome
- Sprechstörungen5
- Schluckschwierigkeiten5
Kardiologische Symptome
- Kardiomyopathie5,9
Orthopädische Symptome
- Fußdeformitäten5
- Skoliose (dreidimensionale Verkrümmung der Wirbelsäule)5,9
Allgemeine Symptome
- Erschöpfung/Fatigue5,10
- Diabetes5
- Depressionen10
Verlauf der FA
Mit dem Auftreten der ersten Symptome zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr sind die Betroffenen nach einem Krankheitsverlauf von 10 – 15 Jahren in der Regel auf einen Rollstuhl angewiesen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 37 Jahren.5
Das Fortschreiten der Erkrankung und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben können mithilfe von Ataxie-Skalen abgeschätzt werden.11
Diagnose der FA
Symptome, klinische und neurologische Untersuchungen sind für eine sichere Diagnose der Friedreich-Ataxie nicht ausreichend. Um die Erkrankung zu bestätigen, muss ein spezifischer, molekulargenetischer Test veranlasst werden.12
Behandlung der FA
Bislang existierten für die Friedreich-Ataxie keine spezifischen Therapien.13 Im Februar 2024 wurde zwar mit Omaveloxolon der erste Arzneistoff zur Behandlung der FA in der EU zugelassen, dennoch bleibt diese Erkrankung weiterhin unheilbar.14 Symptomgerichtete, therapeutische Maßnahmen sind unerlässlich, um die Lebensqualität sowie die Unabhängigkeit der Betroffenen längst- und bestmöglich zu erhalten.9,15
Durch die Vielzahl möglicher beteiligter Systeme, wie beispielsweise Skoliose, Diabetes und Kardiomyopathie, ist für die Behandlung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt:2,5
Alltag mit FA
Betroffene erleben mit dem Fortschreiten der Erkrankung enorme Einschränkungen im Alltag. Hinzu kommt auch noch die emotionale Belastung, die das Wissen um den Verlauf der Erkrankung mitbringt.10,16 Ziele der Behandlungsstrategien sind unter anderem, dass Betroffene weiterhin am sozialen Leben teilnehmen und normale Alltagsaktivitäten ausüben können.9,17
Neben der Betreuung durch verschiedene ärztliche Fachkräfte spielen auch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie eine maßgebliche Rolle, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.15 Zudem kann auch eine psychologische Betreuung beim emotionalen Umgang mit der Erkrankung Unterstützung bieten.
Hilfe, Beratung und Informationen dazu finden Betroffene und Angehörige bei diversen Patientenorganisationen, wie beispielsweise beim Friedreich Ataxie Förderverein e.V. oder der Deutschen Heredo-Ataxie-Gesellschaft e. V. (DHAG). Da auch der Kontakt zu anderen Betroffenen helfen kann, bieten diese Plattformen Menschen mit FA und ihren Angehörigen die Möglichkeit zu einem Austausch über Alltagsthemen rund um das Leben mit FA, verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, Hilfsmittel oder einfach nur, um mit Gleichgesinnten Gefühle und Gedanken zu teilen.
Gerne stellt auch das Service-Center für seltene Erkrankungen von Biogen ein umfangreiches Informations- und Service-Material zur Verfügung und beantwortet sämtliche Fragen rund um die Erkrankung. Das Service-Team ist telefonisch erreichbar unter der 0800 070 44 00 (gebührenfrei) oder per E-Mail unter info@seltene-erkrankungen.de.
Referenzen:
- Schweizerische Muskelgesellschaft. Friedreich-Ataxie. https://www.muskelgesellschaft.ch/diagnosen/friedreich-ataxie-fa/ (eingesehen am 03.05.2024)
- Schulz JB et al. Diagnosis and treatment of Friedreich ataxia: a European perspective. Nat Rev Neurol 2009; 5(4): 222 – 34
- Pandolfo M. Friedreich ataxia: the clinical picture. J Neurol 2009; 256 (Suppl 1): 3 – 8
- Friedreich’s Ataxia Research Alliance. What is FA? https://www.curefa.org/what-is-friedreichs-ataxia (eingesehen am 03.05.2024)
- Parkinson MH et al. Clinical features of Friedreich's ataxia: classical and atypical phenotypes. J Neurochem 2013; 126 (Suppl 1): 103 – 17
- artzcme. Friedreich-Ataxie – Aktuelles zu Ursache, Diagnostik und neuen Therapieoptionen. https://www.arztcme.de/wpcontent/uploads/arztcme_friedreich-ataxie.pdf (eingesehen am 07.11.204)
- Gomes CM, Santos R. Neurodegeneration in Friedreich's ataxia: from defective frataxin to oxidative stress. Oxid Med Cell Longev 2013; 2013: 487534
- Friedreich Ataxie Förderverein e.V. Was ist Friedreich-Ataxie? https://www.friedreich-ataxie.de/DieFA/WasIstFA/ (eingesehen am 03.05.2024)
- Cook A, Giunti P. Friedreich's ataxia: clinical features, pathogenesis and management. Br Med Bull 2017; 124(1): 19 – 30
- Nieto A et al. Depressive symptoms in Friedreich ataxia. Int J Clin Health Psychol 2018; 18(1): 18 – 26
- Etoom M et al. Ataxia Rating Scales: Content Analysis by Linking to the International Classification of Functioning, Disability and Health. Healthcare (Basel) 2022; 10(12): 2459
- Wallace SE, Bird TD. Molecular genetic testing for hereditary ataxia: What every neurologist should know. Neurol Clin Pract 2018; 8(1): 27 – 32
- Corben LA et al. Clinical management guidelines for Friedreich ataxia: best practice in rare diseases. Orphanet J Rare Dis 2022; 17(1): 415
- European Comission. https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/html/h1786.htm (eingesehen am 03.05.2024)
- Deutsche Hirnstiftung. Friedreich-Ataxie: Symptome, Ursachen, Behandlung. https://hirnstiftung.org/alle-erkrankungen/friedreich-ataxie/ (eingesehen am 03.05.2024)
- Giunti P et al. Impact of Friedreich's Ataxia on health-care resource utilization in the United Kingdom and Germany. Orphanet J Rare Dis 2013; 28: 8: 38
- Lowit A et al. Symptom burden of people with progressive ataxia, and its wider impact on their friends and relatives: a cross-sectional study. Health Open Research 2023; 3: 28